Lesung von »Sakiko Nomura: Ango« in Wien

Beim diesjährigen Vienna Photo Book Festival in Wien stellen Match & Company in Zusammenarbeit mit shashasha ihr neues Fotobuch »Sakiko Nomura: Ango« zum ersten Mal der Welt vor. Das Buch kombiniert Fotos der Künstlerin Sakiko Nomura mit der 1946 erschienenen Kurzgeschichte »Eine Frau und der Krieg« des Schriftstellers Ango Sakaguchi.

Dazu findet im Rahmen des Photo Book Festivals am Sonntag um 17:00 Uhr eine Lesung des Buchs statt. Der österreichische Schauspieler Clemens Aap Lindenberg liest die Kurzgeschichte »Eine Frau und der Krieg« in ihrer deutschen Übersetzung und wird dabei von den Fotos Sakiko Nomuras begleitet.


Lesung »Sakiko Nomura: Ango«

Beginn: Sonntag, den 11. Juni um 17:00 Uhr
Veranstaltungsort: Expedithalle der Brotfabrik Wien (Absberggasse 27)
Eintritt: 5 Euro (Eintritt zum Vienna Photo Book Festival)


 

Über »Sakiko Nomura: Ango«

Eine Haltung gegenüber dem Krieg

(Auszug aus dem Nachwort, geschrieben von Designer Satoshi Machiguchi)

Für “Ango Nomura” stellte ich der Kurzgeschichte »Eine Frau und der Krieg« von Ango Sakaguchi Fotografien von Sakiko Nomura gegenüber.

1938 wurde mein Vater im Ort Yingkou in Mandschukuo (einem von Japan errichteten Staat in der Mandschurei) geboren. 1945 brach Mandschukuo im Zuge Japans Kriegsniederlage zusammen, und mein Vater und seine Familie verloren ihre Lebensgrundlage. 1946 erreichten sie nach beschwerlicher Reise endlich Huludao, von wo aus sie per Schiff schließlich über den Hafen von Hakata nach Japan zurückkehrten.

Als ich acht Jahre und damit so alt wie mein Vater war, als er nach Japan zurückkehrte, ließ er mich von Yokohama, wo wir wohnten, einen halben Tag lang bis nach Tokio marschieren. Als mein Bruder acht Jahre alt wurde, nahm mein Vater ihn zum Hakata-Hafen mit. Mein Bruder und ich können uns nur undeutlich an diese Tage erinnern. Ich glaube deswegen, dass auch mein Vater nur verschwommene Erinnerungen an seine Rückkehr nach Japan hat. Und trotzdem spürte ich an diesen Tagen deutlich die Haltung meines Vaters zum Krieg, auch wenn ich Krieg nicht nahe gekommen war. Mein Vater muss diese Haltung damals bei jemandem erlebt haben, so wie ich selbst sie bei meinem Vater erlebte.

1913 wurde Sakiko Nomuras Großmutter in Kusu in der japanischen Präfektur Oita geboren. 1935 siedelte sie nach Harbin in Mandschukuo über. 1945 brach Mandschukuo im Zuge Japans Kriegsniederlage zusammen, und sie und ihre Familie verloren ihre Lebensgrundlage. 1946 erreichten sie nach beschwerlicher Reise endlich Huludao, von wo aus sie per Schiff schließlich über den Hafen von Hakata nach Japan zurückkehrten.
Die Erlebnisse, die mein Vater und Sakiko Nomuras Großmutter zwischen dem Verlassen Mandschukuos und ihrer Rücksiedlung nach Japan gemacht haben, gleichen sich mehr oder weniger. Ich glaube daher, dass Sakiko Nomura genau so wie ich die Haltung ihrer Großmutter zum Krieg erlebt haben muss, auch wenn es nie Krieg in ihrer Nähe gab. Der Unterschied zwischen uns ist, dass ihre Großmutter zum Zeitpunkt ihrer Rücksiedlung bereits 33 Jahre alt war. Im Gegensatz zu meinem Vater hatte ihre Großmutter sicher klare Erinnerungen.

Ango Sakaguchi veröffentlichte seinen Text »Eine Frau und der Krieg« 1946, dem gleichen Jahr, in dem mein Vater und Sakiko Nomuras Großmutter aus Mandschukuo zurückkehrten.
Ango war da 40 Jahre alt.

Wir dachten, dass es Krieg in unserer Nähe nicht mehr geben würde. Nur die Haltung zum Krieg sollte bleiben. Allerdings spüre ich deutlich, dass die Welt sich auf beunruhigende Weise verändert hat. Anstatt einer Haltung zum Krieg kommt es mir vor, als sei es der Krieg selbst, der in meine Nähe gerückt ist. Deswegen beschloss ich, »Eine Frau und der Krieg« übersetzen zu lassen und in die Welt zu entsenden.

Ich habe im Wörterbuch einmal das Wort »Haltung« nachgeschlagen. Unter anderem stand da: »Verhalten, Auftreten, das durch eine bestimmte innere Einstellung, Verfassung hervorgerufen wird; innere Einstellung, die jemandes Denken und Handeln prägt; Auftreten, Benehmen, Verhalten, Gebaren.«
Ango Sakaguchi, der uns seine Haltung gegenüber dem Krieg in seinen Texten hinterließ, beendet seine Kurzgeschichte »Eine Frau und der Krieg« mit folgendem Satz:

»Gierig starrte er auf sie. »Der Krieg ist vorbei«, hallte es durch seine Gedanken, wieder und wieder, immer klarer, immer deutlicher.«

Mein Vater lebt immer noch. Sakiko Nomuras Großmutter verstarb letztes Jahr im Alter von 102 Jahren. Um den Nachlass ihrer Großmutter hat Sakiko sich noch nicht gekümmert. Wir sollten ungebrochen klar und deutlich weiterdenken. Die richtige Haltung zum Krieg ist nach wie vor in unserer Nähe.

Biografisches

Zu Ango Sakaguchi (Schriftsteller)

Geboren 1906 als Heigo Sakaguchi in Niitsu in der Präfektur Niigata. Bereits in Kleinkindstagen weigerte sich Sakaguchi gegen den Schulbesuch und fiel durch Streiche und als Rädelsführer der Nachbarschaftskinder auf. Einen Drang nach Weisheit spürend schrieb sich Sakaguchi 1926 an der Fakultät für indische Philosophie der Toyo-Universität ein, gab aber nach Abschluss des schwierigem Studium die Suche nach Erleuchtung wieder auf. 1930 startete er zusammen mit Freunden das Literaturmagazin “Kotoba” und veröffentlichte darin im folgenden Jahr seine Geschichte “Dr. Wind”, die ihm die Aufmerksamkeit der Literaturwelt sicherte. Es folgte - trotz einiger bedeutender Werke wie “Der purpurne Oberstaatsrat” - eine Periode weitgehend von den Kritikern ignorierten Schaffens, bis er sich 1946 mit “Die Wahnsinnige” und dem politischen “Essay über die Entartung”, das das Nachkriegsjapan scharf beschreibt, als populärer Autor etablierte.
Ango Sakaguchi verstarb am 17. Februar 1955 im Alter von nur 48 Jahren an einem Hirnaneurysma. Zu seinen Hauptwerken zählen u.a. “Die Perle”, „In dem in voller Blüte stehenden Kirschbaumwald“ und “Der Ohrenmann und die Prinzessin der Nacht”.

Zu Sakiko Nomura (Fotografin)

Geboren 1967 in Shimonoseki in der Präfektur Yamaguchi. Nach ihrem Abschluss in Fotografie an der Kyushu-Sangyo-Universität wurde sie 1991 Schülerin des japanischen Meisterfotografen Nobuyoshi Araki. Ihrer ersten Solo-Ausstellung “Uhr ohne Zeiger” im Jahr 1993 folgten zahlreiche hochgelobte Einzel- und Gruppenausstellungen in Tokio, Europa und Asien. 2013 gewann sie mit ihrem Fotobuch “Nude/A Room/Flowers” den Sagamihara Newcomer Professionals Award. 2015 vertrat sie als eine von acht Künstlerinnen Japan bei der Gruppenausstellung “Another Language” des Arles Photo Festivals. 2017 wurde ihr Fotobuch “Another Black Darkness” mit dem Higashikawa International Photo Festival New Photographer Award ausgezeichnet. Sie gilt als eine der vielversprechendsten derzeit aktiven Fotografinnen weltweit. Zu ihren Hauptveröffentlichungen gehören u.a. “Naked Time” (1997), “Time for Love” (2000), “Black Cat” (2002), “Night Flight” and “Black Darkness” (beide 2008).

Zu Satoshi Machiguchi (Grafikdesigner, Verleger)

Geboren 1971 in Tokio. Gründer der Designagentur Match and Company. Hauptsächlich für seine Arbeiten an Fotobüchern für Künstler wie Daido Moriyama, Mika Ninagawa, Nobuyoshi Araki, Katsumi Omori, Masafumi Sanai und Sakiko Nomura bekannt, ist Satoshi Machiguchi auch als Grafikdesigner in Film, Theater und Ausstellung sowie Buchgestalter literarischer Werke tätig. 2005 gründete er das Fotobuch-Label “M” und den den Verlag “Bookshop M”, um die Herstellung und die Bekanntmachung japanischer Fotokunst weltweit zu fördern. Zu diesem Zwecke stellt er u. a. seit 2008 jährlich bei der Messe “Paris Photo” aus, der größten regelmäßigen Veranstaltung der Fotografiewelt. Für seine Arbeiten wurde Satoshi Machiguchi sowohl in Japan als auch international mit Preisen ausgezeichnet, so z. B. zweimal (2009 und 2015) mit dem Minister of Economic, Trade and Industry’s Prize und 2014 mit dem Tokyo Type Directors Club Award.

Zu Clemens Aap Lindenberg (Theater- und Filmschauspieler)

Geboren 1961 in Wien. Schon 1983 war er Mitbegründer der freien Theatergruppe THESPISKARREN, die sich mit für die damalige Zeit ganz neuen Theaterformen auseinandersetzte. Eine der herausragenden Produktionen dieser Truppe war „Endstation Zuchthaus“ von Jack Unterweger. Ab 1985 folgten dann Engagements am laufenden Band, so bei den Wiener Festwochen oder am Jura Soyfer Theater, wo er 1987 den Macbeth spielte. 1991 begann dann eine lange und fruchtbringende Zusammenarbeit mit dem Ensembletheater Treffpunkt Petersplatz, wo Lindenberg bis 2001 quasi Ensemblemitglied war. Hier spielte er große Partien in Stücken von Mitterer, Osborne, Frisch, Pinter, Moliere u.v.m. 1999 trat er sein erstes Engagement im WALDVIERTLER HOFTHEATER an, es begann seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Michael Gampe. Ein Prinzip seiner Arbeit lautet: die Abbildung der Wirklichkeit ist nicht notwendigerweise auch gutes Theater, denn es geht weit weniger um Wahrheit, als um Wahrhaftigkeit. Stets hat er es vermieden, sich in ein Rollenklischee drängen zu lassen, nie hat er den Diskurs mit der Regie oder Kollegenschaft gescheut, wenn es um das Finden einer Figur gegangen ist. 1986 Preis der Presse- u. Kleinbühnenjury für "Endstation Zuchthaus", 2002 Stadttheater-Drache-Auszeichnung für die Darstellung des Fleischers in Delicatessen (Theater zum Fürchten), 2012 Nestroy-Nominierung "Beste Offproduktion" für »Nachtasyl« (Theater zum Fürchten).
Demnächst zu sehen in »Komtesse Mizzi« beim Theater Schloss Hunyadi.

 


»Sakiko Nomura: Ango«

  • Text: Ango Sakaguchi
  • Fotos: Sakiko Nomura
  • Buchdesign: Satoshi Machiguchi
  • Übersetzung: Robert Zetzsche
  • Projektdirektion: Hiroshi Onishi
  • Format: 150 x 213mm (A5)
  • 204 Seiten
  • 69 Fotografien
  • Hochwertiger Druck in spezieller Spiralform
  • Herausgeber: bookshop M
  • Verkauf durch shashasha
  • Preis: 55 Euro (zzgl. Steuer)

  • ISBN 978-4-908647-04-8 (deutsche Ausgabe)
  • ISBN 978-4-908647-06-2 (englische Ausgabe)
  • ISBN 978-4-908647-05-5 (japanische Ausgabe)